Schriftdolmetschen – Chancen und Risiken

Beitrag von Jutta Witzel  | Veröffentlicht am 13. Juni 2024  

Sie suchen als Übersetzer:in oder Dolmetscher:in ein zusätzliches berufliches Standbein? Schriftdolmetschen oder Live-Untertitelung ist eine verwandte Tätigkeit, die sehr vielfältige Einsatzmöglichkeiten bietet. Insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern, bei Ämtern, Behörden, für schwerhörige Studierende und für Kund:innen mit besonderen Bedarfen wie vereinfachten Texten werden Spezialist:innen gesucht.

Schriftdolmetscher:innen arbeiten mit externer, ergonomischer Tastatur und mit einer „Maske“ (links neben der Tastatur), die den Schall dämpft, wenn sie in Präsenz mit Spracherkennung arbeiten | Bild: Anja Lützen

Beim Schriftdolmetschen wird ein mündlich dargebotener Ausgangstext nahezu in Echtzeit (simultan) in einen schriftlichen Text übertragen. Die Dienstleistung richtet sich in erster Linie an schwerhörige und spätertaubte Menschen, die mit Lautsprache aufgewachsen sind und über eine gute Lesekompetenz verfügen (vgl. Witzel in Maaß/Rink 2019: 303; Handbuch Barrierefreie Kommunikation - Verlag "Frank & Timme"; frank-timme.de).

Beispiel: Eine schwerhörige Person ist Vertrauensperson für schwerbehinderte Menschen in einem Unternehmen und nimmt an Vorstellungsgesprächen teil. Da sie in der Situation mit vielen Beteiligten und Nebengeräuschen den Gesprächen nicht alles Gesagte versteht, werden alle Redebeiträge als schriftlicher Zieltext zusammen mit den Namen der jeweiligen Sprecher:innen auf einem Tablet/Laptop angezeigt. Durch die Unterstützung der Schriftdolmetscher:innen kann die schwerhörige Person die Sinneseinschränkung zum gewissen Grad kompensieren. Die Situation bleibt jedoch herausfordernd: Sie beobachtet die Sprechenden, liest den Text und schaut gleichzeitig noch in Unterlagen.

Eine mit dem Schriftdolmetschen verwandte Dienstleistung ist die Untertitelung für Fernsehsendungen. Der Hauptunterschiede bestehen darin, dass die Untertitel für eine unbestimmte und heterogene Gruppe von Menschen produziert (vgl. Maaß/Rink 2019: S. 328 f.), nach bestimmten Richtlinien komprimiert und dargestellt werden (Gestaltung von Untertiteln - ARD | Das Erste). Außerdem ist es häufig eine Mischung aus vorproduzierten und live produzierten Untertiteln. „Vorproduziert“ deswegen, weil den Untertiteler:innen von den Redaktionen einige Texte bereits vorab zur Verfügung gestellt werden.

Zusätzliche Varianten im Medienkontext: Vor der Ausstrahlung werden Filme und Serien für die Mediatheken der Sender untertitelt. DVDs oder BlueRays sind häufig mit Untertitelversionen versehen. (Weitere Informationen: Maaß/Rink 2019: S. 330 f.)

Vergleichbar mit dem Schriftdolmetschen ist darüber hinaus das Telefondolmetschen für hörgeschädigte Menschen: Nutzer:innen können mit Unterstützung von Live-Untertiteln Telefongespräche führen und rund um die Uhr den barrierefreien Notrufdienst nutzen. Das Besondere beim Telefondolmetschen ist, dass die Schriftdolmetscher:innen nicht nur das Gesagte mitschreiben, sondern auch das Gespräch moderieren: Sie erläutern, dass beispielsweise gerade kein Text erscheint, weil der hörende Gesprächspartner etwas im Computer sucht (vgl. Witzel in einem Buchbeitrag über Schriftdolmetschen in Maaß/Maaß „Dolmetschen im Bereich Barrierefreie Kommunikation“, noch nicht veröffentlicht). Anbieter ist Tess Relay Dienste | Tess Sign & Script - Relay-Dienste für hörgeschädigte Menschen GmbH (tess-relay-dienste.de).

Wo arbeiten Schriftdolmetscher:innen?

Schriftdolmetscher:innen kommen typischerweise zum Einsatz:

1. An Schulen, Berufsfachschulen, Hochschulen und Universitäten. In diesen Settings werden die Schriftdolmetscher:innen häufig online zugeschaltet, um Fahrzeiten zu vermeiden und mehr Auswahl an Dolmetscher:innen zu haben. Denn in der Bundesrepublik Deutschland gibt es bundesweit nur ca. 140 zertifizierte Schriftdolmetscher:innen. Diese Art von Aufträgen werden meist von Agenturen oder Zusammenschlüssen von Dolmetscher:innen organisiert, da ein Team flexibel für längere Aufträge eingesetzt werden muss.

2. Im beruflichen Kontext bei Teamsitzungen, Weiterbildungs-, betrieblichen Veranstaltungen. Dies sind regelmäßige Aufträge, bei denen sich die Schriftdolmetscher:innen in das Themengebiet einarbeiten und die Sprecher:innen nach und nach besser kennenlernen.

Live-Untertitelung auf der BUGA in Mannheim im Juli 2023 | Bild: Carolin Grehl

3. Bei der Live-Untertitelung bei Veranstaltungen: Wenn Veranstalter barrierearme Formate anbieten, werden häufig Gebärdensprachdolmetscher:innen und Schriftdolmetscher:innen beauftragt. Dies erfordert eine umfassende Vorbereitung, da die Sprecher:innen bei Podiumsdiskussionen und Vorträgen häufig sehr schnell sprechen. Auf Anfrage stellt der Veranstalter das Programm, die Namen der Redner, Präsentationen, Redeskripte - soweit die Redner:innen dies vorab ermöglichen - zur Verfügung. In diese Kategorie fällt auch die Live-Untertitelung beim Bundestag und den Landtagen.

4. Weitere typische Settings sind das Schriftdolmetschen bei Gericht und im Gesundheitswesen. Insbesondere bei Gericht ist eine Eins-zu-Eins-Verschriftlichung des Gesagten erforderlich. Sprechen die Redner:innen zu schnell, können die Schriftdolmetscher:innen sich melden und um Wiederholung des Gesagten bitten.

Welche Fertigkeiten sollten Schriftdolmetscher:innen mitbringen?

Schriftdolmetscher:innen sollten multitaskingfähig sein, eine schnelle Auffassungsgabe haben, textsicher sein, schnell tippen können sowie gut mit Menschen mit Behinderungen umgehen können. Prädestiniert für die Tätigkeit sind Übersetzer:innen, Dolmetscher:innen sowie alle, die mit Texten arbeiten und sich für Inklusion engagieren möchten. Idealerweise sollten Sie sich in verschiedenen Fachgebieten auskennen, da die Einsätze sehr vielfältig sind. Insbesondere eignet sich diese Tätigkeit als zusätzliches Standbein, um Auftragsschwankungen in anderen Bereichen auszugleichen.

Zur Tippgeschwindigkeit: Als Voraussetzung wird in der Regel bei den Weiterbildungen eine Mindestanschlagzahl von 300 Anschlägen pro Minute verlangt. Die eigene Tippgeschwindigkeit können Sie bei Anbietern wir www.tippenakademie.de, www.10fastfingers.com oder ähnlich herausfinden.

Sie können mit verschiedenen Methoden arbeiten: Mit der sogenannten konventionellen Methode, d.h. mit der Computertastatur. Die meisten Schriftdolmetscher:innen arbeiten mit einer externen Tastatur, die sich gut bedienen lässt (die Tasten lösen schnell aus und sind geräuscharm). Um schneller zu tippen, können Sie sich „Kürzel“ anlegen: Mittels einer Software wie Autohotkey legen Sie sich ein Kürzelsystem an, das Sie sich gut merken können. Beispielsweise: „Jan“ für „Januar“, „Feb“ für „Februar“, „u“ für „und“, „me“ für „Mensch, „men“ für Menschen. Die Software ergänzt die fehlenden Buchstaben automatisch, so dass Sie weniger Buchstaben tippen müssen. Sie sollten systematisch vorgehen, damit Sie sich die Kürzel effektiv merken können. Das „n“ bei „Menschen“ steht dann beispielsweise für die Mehrzahl bei Substantiven - auch bei anderen Wörtern. Es ist effektiv, häufig vorkommende, kurze Wörter einzukürzeln, da hier die Summe der benutzten Wörter einen Unterschied macht.

Die konventionelle Methode wird bevorzugt in Präsenzsituationen bei kleinen Gruppen genutzt: bei Teamsitzungen, Supervisionen, Mitarbeitergesprächen etc. Bei großen Veranstaltungen mit schnellen Sprechern bevorzugen viele Schriftdolmetscher:innen die Spracherkennungsmethode: Sie verwenden eine auf ihre Stimme und ihren Kundenwortschatz programmierte Spracherkennungssoftware. Unter diesen Voraussetzungen passieren wenig Erkennungsfehler. Vor einem Auftrag können Sie Dokumente einlesen, aus denen die Software (bisher) unbekannte Wörter herausfiltert und in das Vokabular der Software aufnimmt.

Noch wichtig zu wissen: Ähnlich wie beim Konferenzdolmetschen erfordert die Tätigkeit hohe Konzentration und Nervenstärke. Daher arbeiten Schriftdolmetscher:innen in Deutschland bei Aufträgen von mehr als 1 Stunden und vielen unterschiedlichen Sprechern und/oder hoher Zuschauerzahl zu zweit. Die Dolmetscher:innen wechseln sich ca. alle 15 Minuten ab. Insbesondere bei hoher Zuschauerzahlt korrigieren sich die Dolmetscher:innen gegenseitig.

Wie werde ich Schriftdolmetscher:in?

Nebenberufliche Weiterbildungsangebote zum Schriftdolmetschen bieten in Deutschland Dolmetschagenturen und eine private Hochschule an, die mit mehreren Agenturen und Partnern zusammenarbeitet. Die Anbieter haben unterschiedliche Preismodelle, so dass Interessierte genau lesen müssen, ob Software, Dolmetschplattformen, Prüfung etc. im Preis enthalten sind. Außerdem sind die Anbieter unterschiedlich lang am Markt und ihre Referent:innen verfügen über verschiedene berufliche und pädagogische Erfahrungen. Die Weiterbildungen erfordern hohe Selbstdisziplin und gute Zeitplanung, da Sie als Teilnehmer:in nur gute Ergebnisse durch regelmäßiges selbständiges Üben alleine oder zusammen mit anderen Weiterbildungsteilnehmenden zusätzlich zu dem Unterricht erzielen.

Situation auf dem Arbeitsmarkt

Schriftdolmetscher:innen arbeiten überwiegend freiberuflich für Agenturen oder eigene Kund:innen. Es gibt bei entsprechendem Bedarf die Möglichkeit der Festanstellung bei Agenturen und Fernsehanstalten. Insbesondere Schriftdolmetscher:innen, die in ihren Erst- oder Zweitsprachen wie Englisch oder Spanisch interlingual oder sogar intralingual (zwischen den Fremdsprachen) arbeiten können, haben gute Chancen, schnell auf dem Markt Fuß zu fassen. Wichtig ist es, bereits während der Weiterbildung zu hospitieren und Kontakte zu späteren potenziellen Auftraggeber:innen und Kolleg:innen zu knüpfen.

Blick in die Zukunft

Schriftdolmetscher:innen werden insbesondere in sicherheitsrelevanten Bereichen, bei Ämtern und Behörden, im Gesundheitswesen, für bestimmte Zielgruppen wie Vertrauenspersonen und Kund:innen mit besonderen Bedarfen (etwa stärkere Kompression des Gesagten) weiterhin stark nachgefragt werden.

In anderen Bereichen wie dem Bundestag und Landtagen ist der Bedarf an zertifizierten Schriftdolmetscher:innen zurückgegangen. Inzwischen ist die Leistung der Maschinen, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten, so weit fortgeschritten, dass die Kontrolle der Untertitel durch anderes Fachpersonal durchgeführt wird. Dies war nur möglich, weil inzwischen Sprachmodelle von Maschinen einiger weniger Anbieter recht gut erfasst sind. Die sogenannten Engines wurden mit Unmengen von Daten gefüttert und für spezielle Anwendungen wie beispielsweise den Bundestag trainiert. Durch das selbständige Lernen der Engines von den Schriftdolmetschern hat sich die Leistungsfähigkeit der Engines stetig verbessert.

Wichtig ist es meiner Ansicht nach daher, sich breit aufzustellen und mehrere berufliche Standbeine zu haben. Insgesamt gibt es im Bereich Inklusion und Barrierefreiheit noch wenig Expert:innen wie Gebärdensprachdolmetscher:innen, intralinguale und interlinguale Schriftdolmetscher:innen, Dolmetscher:innen und Übersetzer:innen für Einfache und Leichte Sprache.

Bibliografie und weiterführende Literatur (exemplarisch)

  • Eichmeyer-Hell, Daniela (demnächst) WIRA-Modell: Modell zur qualitativen Bewertung einer Schriftdolmetsch-Leistung unter Berücksichtigung der Nutzerperspektive.
  • Eugeni, Carlo. (2012). A Strategic Model for the Analysis of Respoken TV Subtitles. US-China Foreign Language, 10(6). https://www.davidpublisher.com/Public/uploads/Contribute/55ac5061c8254.pdf, Web 10.6.2024
  • Gerzymisch (2013): Prof. Dr. Heidrun Gerzymisch-Arbogast „Gutachten zu der Bezeichnung „Schriftdolmetschen“, <gutachten_gerzymisch.pdf (bsd-ev.org)>, Web 10.6.2024
  • Mälzer, Nathalie/Wünsche, Maria (2019) „Untertitelung für Hörgeschädigte (SDH)“, in: Maaß, Christiane/Rink, Isabel (eds.) Handbuch Barrierefreie Kommunikation. Berlin: Frank & Timme, 2019. Print. 327-344.
  • Norberg, Ulf/Stachl-Peier, Ursula/Tiittula, Liisa (2015) „Speech-to-Text Interpreting in Finland, Sweden and Austria“, in: Translation & Interpreting 7:3 (= special issue „Community Interpreting”), 36-49, http://www.trans-int.org/index.php/transint/article/view/418, Web 10.6.2024.
  • Maaß, Christiane/Rink, Isabel (Hrsg.): Handbuch Barrierefreie Kommunikation. Berlin: Frank  & Timme, 2018. Print.
  • Moores, Zoe (2020) „ Fostering Access for All Through Respeaking at Live Events“, Journal of Specialised Translation 33, 2022. Seiten 176-211, art_moores.pdf (soap2.ch), Web 10.6.2024
  • Platter, Judith (2015) Translation im Spannungsbereich von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Schriftdolmetschen in Österreich. Eine textbasierte Analyse. Universität Wien: Dissertation (unveröffentlicht).
  • Romero-Fresco, Pablo (2020) „Negotiating Quality Assessment in Media Accessibility. The Case of Live Subtitling“, in: Universal access in the information society, 741-751.
  • Zárate, S. (2020). „Captioning and Subtitling for d/Deaf and Hard of Hearing Audiences.“ London: UCL Press, 2020. <https://discovery.ucl.ac.uk/id/eprint/10117831/1/Captioning-and-Subtitling-for-Deaf-and-Hard-of-Hearing-Audiences.pdf>, Web 10.6.2024.

Internetquellen mit Informationen zu den Themen Schriftdolmetschen und Hörschädigung

Über den Autor

Jutta Witzel

Über dIE AutorIN

Jutta Witzel

Jutta Witzel arbeitet freiberuflich als Schriftdolmetscherin, Dolmetscherin/Übersetzerin in Einfache Sprache, Dozentin für Schriftdolmetschen, Einfache Sprache und interkulturelle Kompetenz. Sie ist für Seminare & Training und die Weiterbildung zum/zur zertifizierten Schriftdolmetscher/in am SDI München verantwortlich.

Sie war von 2004 bis 2011 Chefredakteurin des MDÜ, Fachzeitschrift des Bundesverbands der Dolmetscher und Übersetzer e.V. Außerdem war sie Projektleiterin einer Buchreihe, Rubrikleiterin bei einem Verlag im Bereich Recht und hat diverse Buchbeiträge verfasst.

www.mehrperspektiven.de

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