Transkreation: Ein zukunftssicheres Standbein in Zeiten von KI?

Beitrag von Nina Sattler-Hovdar  | Veröffentlicht am 20. April 2023  

Sie überlegen sich, Transkreation in Ihr Leistungsportfolio aufzunehmen? Oder sind es leid, trotz Ihrer Ausbildung und Erfahrung ständig unter Wert behandelt zu werden? Gegen Maschinen antreten zu müssen? Transkreation kann Ihnen helfen, sich trotz der Fortschritte in der künstlichen Intelligenz ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufzubauen.

Was ist „Transkreation“ eigentlich? Die Übersetzungsbranche befindet sich im Umbruch und verändert sich in vielerlei Hinsicht. Transkreation - so wie ich diese Dienstleistung definiere und selbst praktiziere - wird noch lange Bestand haben. Trotz der Fortschritte der maschinellen Übersetzung. Oder gerade deshalb.

Denn in der Transkreation muss die Transkreativtexterin1 jenseits eines Ausgangstextes viele zusätzliche Inputs in ihre Zieltexte einarbeiten: Gespräche mit ihrer Kundin und/oder deren Marketingabteilung, Fakten und Daten aus vielen Quellen, Marktforschungsergebnisse, Recherchen zu Wettbewerb, Kundenstimmen, Ideensammlungen und mehr. Aus diesen vielen Inputs die Texte und Strukturen herauszuarbeiten, die die Ziele der Auftraggeberin am besten erfüllen (was will sie erreichen, und wie können wir das am besten erreichen?), das bietet keine Maschine.

Und dies ist der Hauptgrund, weshalb Sie sich mit Transkreation ein Geschäftsmodell aufbauen können, bei dem die menschliche Intelligenz kaum durch die künstliche ersetzbar ist. Auch wenn maschinelle Übersetzungsprogramme heutzutage Ausgangstexte immer besser wiedergeben können. Denn in der Transkreation geht es eben nicht bloß um den Ausgangstext. Die Fähigkeit, aus vielen Quellen zusätzlich zum eigentlichen Ausgangstext Material zusammenzutragen und mit der eigenen Expertise zusammenführen - das ist es, was der Transkreativtexterin die Überlegenheit gegenüber der künstlichen Intelligenz verschafft.

Transkreation - was ist das eigentlich?

Doch erst einmal alles der Reihe nach, beginnend mit der zentralen Frage: Was ist eigentlich unter „Transkreation“ zu verstehen? Worum geht es dabei überhaupt?

Definitionen gibt es sonder Zahl, Verwirrung ist daher vorprogrammiert und verständlich. Tatsächlich ist es schwierig, den Begriff haarscharf abgrenzen zu wollen. Und wie wir noch sehen werden, geht es in der Transkreation auch gar nicht um eine haarscharfe Abgrenzung.

Kleine Vorgeschichte

Aufgrund meiner jahrelangen hauptberuflichen Tätigkeit in der strategischen Marktforschung und der damit verbundenen Zusammenarbeit mit internationalen Großunternehmen und Werbeagenturen hat sich bei mir Ende der 1990er-Jahre durch diese kombinierte Expertise als Übersetzerin und der Expertise aus dem Marketing und der internationalen Kommunikation meine Eignung für die Übertragung imagesensibler Texte in der Unternehmenskommunikation, PR und Werbung ergeben.

Nun wurden meine „Übersetzungen“ von meinen Kunden zwar hochgelobt, meine Honorarvorstellungen jedoch als „unüblich“ quittiert. Auch Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen ebenso wie mit Übersetzerverbänden waren nicht hilfreich, eine Übersetzung sei eben eine Übersetzung, und die werde nach Zeilen oder Wörtern abgerechnet. Ich stand mit meiner Forderung nach alternativen Abrechnungsformen ziemlich alleine da. Dies ließ mir keine Ruhe, und ich beschloss, dagegen anzutreten und für bessere Konditionen bei der „Übersetzung“ von Texten, die nach meiner Definition „für Image und Umsatz wichtig“ sind, eine Lanze zu brechen. 2006 schließlich hielt ich meinen ersten Vortrag zum Thema, es folgten viele weitere Einladungen zu Vorträgen und Fachartikeln. 2016 kam mein erstes Buch zum Thema Transkreation heraus.

Meiner Aufklärungsarbeit habe ich damals einen wichtigen Grundsatz aus dem Marketing zugrunde gelegt. Dieser besagt, dass fixe Vorstellungen in den Köpfen der Adressatengruppe genau das sind: Sie sind fix. Unverrückbar. Ist im Kopf etwas als „so ist es“ abgespeichert, bleibt es generell so.

„Übersetzung ist so einfach, dass sogar Maschinen die Arbeit erledigen können,“ so lautet die gängige Vorstellung in der Welt außerhalb des Übersetzer-Universums, von der unbedarften Person auf der Straße bis hin zu Marketingabteilungen und Vorstandsetagen (dort oft ganz besonders). Und wenn sich diese Perzeption einmal eingeprägt hat, nützt keine eloquente Argumentation und schon gar keine Vorschlaghammer-Rhetorik. Einer fixen Wahrnehmung widersprechen zu wollen, ist psychologisch zum Scheitern verurteilt.

Erschwerend kommt hinzu, dass Software-Entwickler sowie auch renommierte Medienkanäle den Eindruck vermitteln, Übersetzungen könnten nahezu genauso gut von Maschinen übernommen werden - so heißt es eben „Maschinenübersetzung“, nicht „maschinell produzierte Zieltexte“. (Letzteres wäre meines Erachtens eine korrektere Bezeichnung.)

Die Schaffung eines neuen Segments, mit der zugehörigen Einführung einer anderen, möglichst unbelasteten Bezeichnung, ist in der Regel der bessere Weg. Der damals (im Jahr 2006) durchaus existierende, aber wenig bekannte Terminus „Transkreation“ bot sich an. Aus drei Gründen: Zum einen war Transkreation kaum mit fixen Vorstellungen konnotiert, also noch gut vermittelbar. Zum anderen erfordert Transkreation tatsächlich eine andere Herangehensweise, die über jene der Übersetzung hinausgeht. Drittens macht die Bezeichnung neugierig und lädt zu Fragen ein: „Was ist das denn?“ Und: „Was läuft da anders als beim Übersetzen?“ Ein erster Anknüpfungspunkt für ein beratendes Gespräch ist gegeben.

Die Bezeichnung „Transkreation“ gibt uns also die Möglichkeit, in Kundengesprächen auf Unterschiede in der Handhabung verschiedener Textsorten und Sprachdienstleistungen hinzuweisen.

Warum ist eine Differenzierung wichtig?

Wichtig ist die Unterscheidung deshalb, weil Aufwand und Expertise, die für eine Fachübersetzung erforderlich sind, anders gelagert sind als bei einer Transkreation. Man sehe sich bloß einen Vertrag (Fachtext) im Vergleich zu einer mit Schlagworten gespickten Pressemitteilung (Unternehmenskommunikation) oder gar einer Anzeige (Werbung) an.

200 Wörter eines Fachtexts sind für eine erfahrene Fachübersetzerin meist zügig machbar, ganz besonders, wenn CAT-Tools (und auch immer mehr Maschinenübersetzungstools) eingesetzt werden können. Fachexpertise ist erforderlich und sollte auch entsprechend honoriert werden, aber der Zeitaufwand ist in der Regel wesentlich geringer als bei transkreativ zu bearbeitenden Texten.

200 Wörter einer Pressemitteilung etwa zum neuen Auftritt einer Marke können gut und gern dreimal so viel Zeit in Anspruch nehmen, bis das Ergebnis so ist, wie die Auftraggeberin es gern hätte. Und das auch dann, wenn man langjährige Transkreationserfahrung hat. (Warum das so ist, erfahren Sie weiter unten.)

Und 200 Wörter - oder auch nur 50 Wörter - einer Werbeanzeige? Da tüftelt und recherchiert und feilt die Transkreativtexterin oft viele Stunden, und das meist über Tage. Zumal auch die Zeit für Briefings, Überarbeitungsschleifen und die Lieferung mehrerer Versionen mit zugehörigen Begründungen zu berücksichtigen ist.

Hier nun (m)eine Definition

Die einfachste Erklärung von Transkreation ist, dass sie zwei normalerweise separat erbrachte Dienstleistungen vereint. Zum einen jene, die wir als Übersetzen kennen, und zum anderen jene, die als Kreation bzw. Texten (das Aufsetzen eines Textes anhand eines Briefings, wie dies Texter in Werbe- und PR-Agenturen tun) bekannt ist. Daraus ergibt sich die Bezeichnung

Trans(lation) + (Text-)Kreation = Transkreation

Diese besondere Dienstleistung deckt daher zwei Aspekte ab: einerseits die übersetzerische (sprachmittlerische) Komponente, andererseits die strategisch-texterische Seite, das Texten losgelöst vom Ausgangstext oder gar ganz ohne Ausgangstext. Bei der Transkreation geht es um die Erstellung und Lieferung eines Textes für eine neue Zielgruppe, bei dem die Leserinnen den Eindruck gewinnen, er sei eigens für sie, in ihrer Sprache, in ihrem Land, in ihrem Soziolekt geschrieben worden, von jemandem, der versteht, was sie berührt und beschäftigt. Der Zieltext kann daher mitunter gänzlich anders ausfallen als die Vorlage im Ausgangstext.

Sich diese zweifache Leistung zu vergegenwärtigen ist überaus wichtig: Mit „Transkreation“ erbringt eine Person also eine Dienstleistung, die normalerweise von zwei separaten Personen erbracht wird. Warum ist dies wichtig? Könnte man nicht einfach zwei Personen engagieren? Die eine übersetzt wie gewohnt, die andere überarbeitet die Übersetzung aus strategisch-texterischer Sicht?

Das ist natürlich möglich und wird teilweise auch so praktiziert. Meiner Erfahrung nach bewährt sich jedoch die Zusammenführung des Prozesses in einer Person - der Transkreativtexterin. Denn eine „wie gewohnt“ angefertigte Übersetzung, wie ich sie oft von Agenturen vorgelegt bekomme (siehe auch die nachfolgenden Beispiele), muss in solchen Fällen meist so stark überarbeitet werden, dass die Transkreativtexterin bisweilen den gesamten Prozess, einschließlich aller Recherchen erneut durchlaufen muss. Die Auftraggeberin zahlt in diesem Fall doppelt, und es kann zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen mit durchaus kostspieligen Konsequenzen kommen. Sinnvoller ist es daher, wenn sich eine Person intensiv sowohl mit der Übersetzung als auch dem Kundenbriefing auseinandersetzt und alle Vorgaben in einem kombinierten Prozess in das Endergebnis einfließen lässt, statt zwei Personen jeweils von null anfangen zu lassen.

Die Definition von Transkreation als kombinierte Dienstleistung lautet in einem kurzen Merksatz daher:

Kombinierte Expertise

Transkreativtexterinnen
beherrschen
SOWOHL
den sprachmittlerischen
Prozess der Übersetzung
ALS AUCH
den strategisch-kreativen
Prozess des Textens

Auftraggeberinnen aufklären und begleiten

Die wenigsten Kundinnen haben eine Vorstellung davon, was sie unter „Transkreation“ erwartet. Aus Unwissenheit wird diese Leistung mitunter abgelehnt. Als Transkreationsanbieterin muss ich daher in der Lage und willens sein, meine Kunden zu beraten und darüber aufzuklären, welche Möglichkeiten es gibt und welche Informationen ich benötige, um ein den Erwartungen entsprechendes Ergebnis liefern zu können (siehe auch die Beispiele weiter unten). Dies bedingt eine wesentlich intensivere Kundenkommunikation als die meisten Auftraggeberinnen es von Übersetzungen her gewohnt sind.

Somit muss ich als Transkreationsexpertin nicht nur Sprachmittlerin und Texterin sein, sondern muss auch beraten können - eine dreifache Kompetenz, die (noch) relativ selten und daher gefragt ist.

Dreifache Kompetenz

Übersetzungskompetenz
Texterkompetenz
Beratungskompetenz

Ist das nicht einfach „funktionales Übersetzen“?

Gelegentlich werde ich in diesem Zusammenhang auf „funktionales Übersetzen“ angesprochen: Transkreation sei doch bloß „eine der Funktion angemessene Übersetzung“. Oder nicht? Gegen die Bezeichnung „funktionale Übersetzung“, wenn Transkreation gemeint ist, sprechen aus meiner Praxiserfahrung zwei Gründe:

Der erste Grund ist, dass es sich bei Transkreation ja um zwei Dienstleistungen handelt. Würde man sie unter Übersetzung subsumieren, fiele der zweite Aspekt - die Dienstleistung der Texterin - unter den Tisch. Dabei ist gerade diese Expertise, die man sich eigens erwerben muss und nicht mit „schön Schreiben“ zu verwechseln ist, in der Transkreation oft noch wichtiger als die Übersetzung an sich.

Der zweite Grund ist verkäuferischer Natur. Es lohnt sich meist, die Unterschiede in der erforderlichen Herangehensweise und Expertise gleich von Anfang an, beginnend mit der Bezeichnung an sich, zu verdeutlichen. Ein eigenes Segment zu schaffen, wie das im Marketing eben geschieht. Und natürlich ist das Verkaufen von Transkreation eine Frage des Marketings. Denn nur mit dem richtigen Marketing kann ich mir als Transkreativtexterin die nötigen Voraussetzungen (ausreichend Zeit, angemessenes Honorar, notwendige Briefings) schaffen, um anschließend auch optimale Arbeit leisten zu können.

Wie sieht das konkret in der Praxis aus?

Bei der Transkreation geht es also nicht vorrangig darum, „schön“ zu schreiben, oder (vermeintlich) flockige Wortspiele zu erfinden, wie viele fälschlich glauben. Es soll kein literarisches Kunstwerk und auch keine akademische Abhandlung entstehen, sondern Botschaften müssen zielgruppengerecht eingängig und überzeugend vermittelt werden. Die übertragenen Texte müssen daher oft, basierend auf dem eingeholten Briefing, adaptiert und mitunter inhaltlich, strukturell oder von der Tonalität her abgeändert werden. Hier ein paar Beispiele:

Beispiel 1:

Im folgenden Beispiel wurden im Rahmen einer Kampagne verschiedene Rezepte veröffentlicht, die dazu anregen sollten, eine bestimmte Espressomarke für sich zu entdecken: Die Einleitung zu einem dieser Rezepte lautete:

A childhood favourite receives an epicurean twist as ice-cold raspberry swathes the rich taste of espresso in a celebration of flavour.

Auf Deutsch wurde daraus:

Ein Kindheitstraum wird erwachsen: Gefrorene Himbeeren verleihen dem vielschichtigen Geschmack des Espresso eine erfrischend kühle, fruchtige Mitte.

Bei dieser Transkreation wurde in der deutschen Version die Tonalität etwas zurückgenommen und weniger epikureisch zelebriert.

Den transkreativen Ablauf dazu kann man sich in diesem Fall so vorstellen: Übersetzt wurde erst gar nicht, eine Übersetzung hätte den Denkprozess eher gehemmt als inspiriert. Stattdessen wurden zunächst die Schlüsselideen - die Wörter oder Konzepte identifiziert, die im Zieltext in der einen oder anderen Form wiedergegeben werden sollten. Diese waren: Kindheit, Lieblingsessen, Eis, Gefrorenes, eiskalte Himbeeren, reicher Geschmack, Espresso

Dann fing das Brainstorming unter Anwendung verschiedener Techniken an, unter anderem anhand der Fragen:

Was fällt mir zu diesem Thema und mentalen Bild ein?

Wie würde ich dieses Getränk bewerben?

Wie spanne ich den Bogen von Kindheit zu Kaffee?

Nach einigen Mind-Mappings und vielen verworfenen Ideen, immer dieses kühle, erfrischende Getränk vor Augen, kam schließlich die obige Formulierung zustande. Hätte eine Maschinenübersetzung mithalten können? Testen wir doch einfach DeepL (dem für Deutsch derzeit besten Übersetzungstool, Stand Januar 2022). Ich erhalte folgendes Ergebnis:

Der Favorit aus der Kindheit erhält eine epikureische Wendung, denn eiskalte Himbeeren umhüllen den reichen Geschmack des Espressos in einem Fest des Geschmacks.

Bei diesem Ergebnis hätte auch ein übliches Post-Editing wohl nur wenig genützt. Bei imagesensiblen Texten ist eben die menschliche Gehirnarbeit unersetzlich. Denn DeepL, Google Translate und Konsorten stellen keine der obigen Fragen („Was fällt mir dazu ein? Was sehe ich mental vor mir? Was würde mich ansprechen? Was für ein Farbenspiel? Wie spanne ich den Bogen?“). Sie führen auch keine Mind-Mappings durch, wenden keine Kreativitätstechniken an und prüfen das Ergebnis nicht anhand eines Briefings.

Wenn wir die beiden deutschen Texte (DeepL versus Transkreation) vergleichen, sehen wir auf einen Blick, warum sich die Investition in die Transkreation für die Kundin lohnt. Finden Sie nicht auch, dass die Transkreation viel einladender und verlockender klingt?

Ausgangstext

DeepL

Transkreation

A childhood favourite receives an epicurean twist as ice-cold raspberry swathes the rich taste of espresso in a celebration of flavour.

Der Favorit aus der Kindheit erhält eine epikureische Wendung, denn eiskalte Himbeeren umhüllen den reichen Geschmack des Espressos in einem Fest des Geschmacks.

Ein Kindheitstraum wird erwachsen: Gefrorene Himbeeren verleihen dem vielschichtigen Geschmack des Espresso eine erfrischend kühle, fruchtige Mitte.

Beispiel 2:

Das zweite Beispiel ist ganz anders gelagert. Dabei handelt es sich um einen Artikel, der in einer IT-Fachzeitschrift erscheinen sollte. Die Überschrift dazu lautete im englischen Original:

How the Internet of Things has created data hoarders

Der Artikel ging darauf ein, wie Unternehmen dank dem Internet der Dinge zwar große Mengen an Daten erfassten, diese aber mitunter nicht zweckmäßig zu nutzen verstünden, und wie man das besser handhaben könne. Der Autor des Artikels wollte damit seine Kompetenz präsentieren, um Aufmerksamkeit und in weiterer Folge auch Anfragen und Aufträge zu lukrieren. Der Artikel wurde von einem zuverlässigen Übersetzer ins Deutsche übersetzt und vorbildlich nach dem 4-Augen-Prinzip lektoriert. Die Überschrift in der deutschen Übersetzung lautete:

Wie das Internet der Dinge Datenhorter geschaffen hat

Was sowohl inhaltlich als auch sprachlich und idiomatisch korrekt ist. Auch der Artikel selbst war terminologisch, inhaltlich und sprachlich korrekt übersetzt worden. Aber eben übersetzt, der Kunde hatte ja auch eine Übersetzung beauftragt. Tatsächlich hatte er sich aber etwas anderes vorgestellt. Er reklamierte, die Übersetzung sei „zu nah am Original“ gehalten, sie sei in der Überschrift und an einigen weiteren Stellen zu negativ und nicht prägnant und eingängig genug. Daraufhin wurde ich eingeschaltet. Ein Briefing schuf Abhilfe, und die Überschrift ebenso wie der Artikel wurden nach diesen Vorstellungen angepasst. Der ursprüngliche Übersetzer hatte diese Zusatzinformationen nicht, woher auch? Die finale Überschrift lautete letztlich schlicht:

Wie sich das Internet der Dinge auf das Datenmanagement auswirkt

War diese Anpassung „kreativ“? Besonders „schön“? Mitnichten. Aber sie brachte genau das auf den Punkt, was der Auftraggeber vermitteln wollte, in der gewünschten Tonalität. Die Reaktion der Zielgruppe sollte sein „Oha, das klingt interessant, das sollte ich lesen, ich möchte wissen, wie sich das Internet der Dinge auf mein Datenmanagement auswirkt.“

Die Anpassung des Gesamttextes erforderte wesentlich mehr Zeit als eine reine Übersetzung, da zusätzlich zur eigentlichen Übersetzung die Vorstellungen des Auftraggebers eingeholt und eingearbeitet werden mussten. Der Zieltext wurde gegenüber dem Ausgangstext in mehreren Durchläufen überarbeitet und adaptiert, um nicht nur inhaltlich richtig, sondern auch richtig griffig zu werden.

Wie Sie an diesen beiden Beispielen sehen, ist Texter-Erfahrung für die Transkreationsarbeit unabdingbar. Man sollte etwa wissen, wie man Briefinggespräche führt und verschriftlicht. Welche Methoden und Techniken für die Entwicklung zielgruppengerechter Texte angewandt werden können. Wie Markenpositionierung funktioniert. Wie passende, griffige Headlines getextet werden. In welche Fallen man nicht tappen sollte. Wie die Textlieferungen zu erfolgen haben. Und vieles mehr, was in keinem Übersetzungskurs, sondern in Copywriting- und Transkreationsausbildungen vermittelt wird.

Zumindest muss man so viel vom Übersetzen und vom Texten verstehen, dass man erkennt, was in welcher Form vom Ausgangstext übernommen werden kann und was neu geschrieben werden sollte.

Mit anderen Worten: Gute Transkreativtexterinnen haben die Expertise, um basierend auf einem Ausgangstext und einem Briefing zu entscheiden, „hier kann ich nah am Ausgangstext bleiben“ oder „hier muss ich umschreiben“, „hier muss ich den Auftraggeber einbinden“. Eine Transkreativtexterin muss in der Lage und willens sein - und die entsprechend honorierte Zeit dafür zur Verfügung haben - sich so intensiv mit ihrem Auftrag, ihrer Auftraggeberin und deren gewollten Botschaften auseinanderzusetzen, dass ein Zieltext entsteht, der das gewünschte Kommunikationsziel zur Zufriedenheit der Auftraggeberin erfüllt. (Dazu bedarf es mitunter mehrere Rückmeldungs- und Überarbeitungsschleifen, was in der Transkreation, so wie im professionellen Copywriting, vollkommen normales Prozedere ist). Daraus leitet sich auch ein wichtiger Grundsatz für die Transkreation ab:

Die Qualität einer Transkreation wird ausschließlich anhand des Zieltexts beurteilt.

Bei der Qualitätsbeurteilung einer Transkreation gibt es also kein „das steht im Ausgangstext so da“, relevant ist lediglich, ob die Transkreation - der Zieltext - die Vorgaben aus dem Briefing erfüllt und der Kunde zufrieden ist. Die Qualitätssicherung erfolgt daher im Vergleich zum Briefing und nur bedingt zum Ausgangstext (siehe auch die schematische Darstellung in der Abbildung unten). Das Briefing hat also Vorrang gegenüber dem Ausgangstext. Letzterer ist vielmehr als ein Bestandteil des Briefings zu verstehen.

Vergleich der Qualitätssicherung in der Translation gegenüber der Transkreation

In dieser Übersicht fällt bei der Transkreation die vorrangige Bindung an das Kommunikationsziel auf, wobei hier sogar eine doppelte Bindung gilt: Einerseits ist da der Wunsch der meisten Auftraggeber, dass der Zieltext (ZT) möglichst nah am Ausgangstext (AT) bleiben möge, gleichzeitig aber soll eine Wirkung gemäß dem Briefing erzielt werden.

Dies ist oft ein Balanceakt auf einem schmalen Grat und erfordert eine enge und direkte Zusammenarbeit mit Auftraggeberinnen. Es muss auch der absolute und uneingeschränkte Wille und Wunsch der Auftragnehmerin gegeben sein, für ihre Auftraggeber die optimale Lösung zu finden und liefern.

Wie mir einer meiner Kunden einst sagte: „Man merkt einfach, wie viel Herzblut Sie da hineinstecken“. In der Tat. Bei jedem Auftrag stelle ich mir vor, es ginge um mein Unternehmen, meine Reputation, meine Website. Würde ich das so veröffentlichen wollen?

Warum ist Transkreation so aufwendig, auch wenn man sich darauf „spezialisiert“ hat?

Diese Frage bekomme ich immer wieder gestellt. Meine Vermutung ist, dass Transkreation von vielen mit der Spezialisierung auf ein bestimmtes Fachgebiet gleichgesetzt wird. Wenn ich mich also auf Transkreation „spezialisiert“ habe, sollte ich bei einem Transkreationsauftrag mit 200 Wörtern genauso schnell ein Ergebnis liefern können wie jemand, der sich auf Vertragstexte spezialisiert hat und 200 Wörter eines Vertrages übersetzt. Sie wissen mittlerweile, dass dem nicht so ist.

Transkreation ist keine fachliche Spezialisierung

Transkreation ist nicht mit einer fachlichen Spezialisierung (Medizin, IT, Finanzen …) zu verwechseln. Transkreation ist eine eigene Kompetenz, die eine fachliche Expertise ergänzen kann. Eine Fachübersetzerin etwa für Medizin übersetzt medizinische Fachtexte (Forschungstexte, Arztbriefe, medizinische Datenbanken, wissenschaftliche Arbeiten etc.) auf fachlich hohem Niveau. Eine Fachübersetzerin für Medizin, die zusätzlich die nötige Texter-Erfahrung hat (mithin eine auf Medizin spezialisierte Transkreativtexterin), überträgt Produktbroschüren, Pressemitteilungen, Webseitentexte und anderes verkaufs- und imageförderndes Material auf fachlich hohem Niveau und unter Berücksichtigung eines eingeholten Briefings (siehe dazu die Beschreibung eines typischen Transkreationsbriefings weiter unten).

Ein Beispiel: Nehmen wir an, Sie sind als Übersetzer auf das Fachgebiet IT, insbesondere Datenbanksysteme spezialisiert. Die größte Schwierigkeit eines Fachtextes in diesem Bereich liegt hier in der Beherrschung der Fachterminologie sowie in ausreichenden Kenntnissen fachspezifischer Konzepte. Wenn Sie diese Fachterminologie beherrschen und mit den betroffenen Konzepten vertraut sind, wird Ihnen der Text meist gut und zügig von der Hand gehen.

Wenn Sie Transkreation anbieten und einen imagesensiblen Text zu bearbeiten haben, ist nicht die Fachterminologie das, was so aufwendig ist, sondern der strategisch-kreative Prozess, den Sie jedes Mal wieder, und zwar für jeden einzelnen Text aufs Neue durchlaufen müssen. Etwaige Fachterminologie, die darin vorkommt, sowie kundenspezifische Terminologie müssen Sie zwar ebenso beherrschen (oder recherchieren), aber um den Prozess der Transkreation kommen Sie trotzdem nicht herum, aller fachspezifischen und fachterminologischen Expertise zum Trotz.

Transkreation ist nicht gleich Marketing-Übersetzung

Zusätzliche Verwirrung stiftet die häufig verwendete irreführende Bezeichnung „Übersetzung von Marketingtexten“, wenn eigentlich Transkreation gemeint ist. Wenn es um Marketingfachtexte geht (etwa interne Markenbriefings, PowerPoint-Präsentationen, Dokumente zur Markenstrategie, die neuesten Marktforschungsergebnisse etc.), und die Übersetzerin hat sich auf Marketing als Fachgebiet spezialisiert, beherrscht sie die Fachterminologie und ist mit Marketingkonzepten vertraut. Somit kann sie von diesen Fachtexten selbstverständlich gerne eine Fachübersetzung anfertigen, selbstverständlich zu ihrem üblichen Fachübersetzungshonorar.

Wenn mit „Übersetzung eines Marketingtexts“ jedoch Transkreation gemeint ist, was meiner Erfahrung nach in mindestens 90 % aller Anfragen zutrifft, sieht die Sache ganz anders aus. In diesen Fällen geht es eben nicht bloß um Fachterminologie und Fachkenntnisse aus dem Marketing, sondern zusätzlich auch um Erfahrung in der Transkreation von Texten sowie um den Aufwand des strategisch-kreativen Prozesses, der bei einer Transkreation unumgänglich ist.

Ich habe im Übrigen schon häufig Marketingfachleute erlebt, die keineswegs gute Texte aufsetzen konnten, schon gar nicht anhand eines andersprachlichen Vorlagetexts. Für die professionelle Transkreation sind professionelle Transkreativtexterinnen - Übersetzer mit entsprechender Textererfahrung - schlicht unerreicht. Und gefragt.

Der Transkreationsprozess

Wie muss man sich nun den Ablauf einer Transkreation vorstellen? Der wichtigste Grundsatz lautet hier: Transkreation ist immer ein umfassender Prozess. Und vor allem ist Transkreation ein Prozess, der sich auch im Zeitalter neuronaler Maschinenübersetzung und sonstiger digitaler Hilfsmittel kaum verkürzen lässt. Das liegt vor allem daran, dass das erforderliche strategisch-kreative Denken nicht einfach auf Tastendruck abrufbar ist, sondern viele Schritte bedingt, wie ich dies im Ansatz bereits an den obigen Beispielen veranschaulicht habe.

Transkreation ist daher vor allem eines: viel Arbeit und Disziplin. Die Disziplin, die verschiedenen Schritte konsequent durchzuziehen, einen Zieltext immer wieder zu überdenken, verschiedene Kreativitätstechniken anzuwenden, weitere Möglichkeiten auszuloten, weitere Quellen zu recherchieren, Ideen zu sammeln, den Text wegzulegen, weiter zu brüten, oft auch über Nacht, bis der in jeder Hinsicht möglichst perfekte Zieltext „steht“. Dieser Aufwand wird häufig auch von Brancheninsidern unterschätzt.

Denn Neues entsteht nicht willkürlich aus dem Nichts, sondern folgt einem durchaus gelenkten Analyse- und Denkprozess. Natürlich gibt es viele Techniken und Methoden, wie man diese Denkprozesse anstoßen und anregen kann. Solche Techniken werden in Workshops geübt und in Büchern und Kursen für professionelle Texterinnen vermittelt.

Wie sieht dieser Transkreationsprozess nun aus? Sie sehen im Folgenden eine beispielhafte Übersicht.

Schritte im Transkreationsprozess:

  • Briefing
  • Recherchen
  • Rohübersetzung
  • Mehr Recherchen
  • Brainstorming, Brainwriting
  • Inkubation
  • Zieltext überarbeiten, adaptieren, polieren
  • Kontrolle und Feinschliff (mehrfach)
  • Dazwischen: Mikro- und Makropausen
  • Endkontrolle

Sehen wir uns diese Schritte nun genauer an.

Zunächst einmal benötigen Sie ein gründliches Briefing. Was für Auftraggeber bei der Zusammenarbeit mit Werbe- und PR-Agenturen meist selbstverständlich ist, wird bei der Arbeit mit Transkreativtexterinnen häufig ignoriert oder übersehen.

Ein Briefing ist eine Arbeitsbasis, die Erwartungen klärt und Richtungen vorgibt. Diese Klärung ist deshalb so wichtig, da gute Transkreationen bekanntlich nicht auf Knopfdruck und schon gar nicht ohne entsprechende Hintergrundinformationen in einem kontextlosen Vakuum produziert werden können. Auch die begnadetste und erfahrenste Texterin benötigt ein entsprechendes Briefing, um überhaupt erst mit dem Denken anzufangen - und vor allem, um in die richtige Richtung zu denken. Dasselbe gilt analog für den Transkreationsprozess. Der Ausgangstext kann für das Aufsetzen des Zieltextes zwar hilfreich sein, ist aber allein nicht ausreichend, insbesondere wenn der Text in der Zielsprache „nicht so eng am Original“ gehalten werden soll. „Nicht so eng“ ist keine hilfreiche Information. Die Erwartungshaltung muss da wesentlich genauer definiert werden, um möglichst gezielt arbeiten und auf allen Seiten Zeit und Nerven zu sparen.

Nehmen wir beispielsweise an, Sie haben einen Broschürentext zum 100-jährigen Jubiläum eines Unternehmens erhalten. Als Übersetzerin bekommen Sie in der Regel keine weiteren Informationen. Es soll ja „nur das übersetzt werden, was dasteht.“ Sie aber wissen, wie viel schiefgehen kann und stellen Fragen. Das Briefing-Dokument, das sie aufgrund des Gesprächs mit ihrem Kunden erstellen (und unbedingt von ihm abzeichnen lassen sollten!) enthält beispielsweise folgende Eckdaten:

  • Hintergrundinfo zum Unternehmen und dem konkreten Projekt
  • Wer sind die größten Wettbewerber (zum Zweck der Abgrenzung)?
  • Wie lautet die Quintessenz der Marke (Markenpersönlichkeit)?
  • Welche Zielgruppe(n) möchten wir erreichen?
  • Welche Gedanken/Gefühle/Aktionen soll der Text auslösen?
  • Gewünschte Tonalität des Textes?
  • In welchen Medien/Kanälen wird der Text veröffentlicht?
  • Gibt es Textlängenbeschränkungen?
  • Bei Webseiten: SEO Keywords?
  • Zugehöriges Bildmaterial (beschreiben oder beifügen)
  • Gibt es Wortspiele/Jargon/Anspielungen, die auch im Zieltext unbedingt aufgegriffen werden sollten (und wenn ja, warum?)
  • Relevante Websites/Referenzmaterial/Styleguides/Glossare
  • Ansprechpartner für etwaige Fragen

Ich habe dafür auch folgende „Zauberformel“ entwickelt, die Sie im Kundengespräch gern einbringen können:

„Zauberformel“

Je besser das Briefing,
desto besser die Transkreation.

Selbstverständlich erfordert nicht jeder Auftrag dieselben Fragen, ein Briefing ist immer individuell auf den jeweiligen Auftrag abzustimmen. Wenn man außerdem bereits längere Zeit für einen bestimmten Auftraggeber tätig ist, benötigt man in der Regel nur mehr einige wenige Informationen, etwa zur konkreten Kampagne, aber nicht zur Marke an sich, die kennt man als langjährige Partnerin meist schon gut. Eine lange und vertrauensvolle Beziehung ist daher für beide Seiten ein großes Plus.

Wenn Sie selbst Auftraggeber sind: Ich hoffe, Ihnen ist nun klar, wie wichtig ein möglichst präzises Briefing ist - im Sinne der Sicherstellung optimaler Ergebnisse. Es ist ganz in Ihrem eigenen Interesse, Ihre Transkreativtexterin auf die richtige Rille zu setzen. Denn auch wenn Ihnen die Arbeit des Briefings lästig oder aufwendig erscheint - die Ergebnisse werden deutlich besser. Sie sparen letztlich wertvolle Zeit, Kosten und Nerven.

Nach dem Einholen des Briefings folgen nun Recherchen, die wie beim Übersetzen natürlich oft (fach-)terminologischer Natur sind, aber auch darüber hinaus gehen. Neben der Suche nach Paralleltexten in relevanten Publikationskanälen analysiere ich zum Beispiel auch Wettbewerbsseiten, um festzuhalten, welche Formulierungen ich besser nicht verwenden sollte, um unverwechselbar zu bleiben, und auch, um meine Auftraggeberin vom Wettbewerb (der im Zielmarkt oft ein anderer sein wird als im Heimatmarkt) abzuheben. Ich prüfe auch, was die Auftraggeberin selbst schon veröffentlicht hat (zusätzlich zum übermittelten Referenzmaterial - Videos auf der Website oder in den sozialen Medien zum Beispiel, um sich in die Tonalität „einzuhören“), und kläre alle offenen Fragen. Kein noch so scheinbar kleines Detail bleibt dem Zufall oder Ratespiel überlassen. Gern suche ich auch in anderen Sprachen als der Zielsprache des Projekts, um mir zusätzliche Denkanstöße zu holen. Und ich konsultiere projekt- oder kundenbezogene „Kladden“ und persönliche Ideensammlungen.

Recherchen können also vielerlei Formen annehmen und zu verschiedenen Zwecken erfolgen. Häufig führe ich verschiedene Recherchen zur mehrfachen Absicherung durch, 10-20 geprüfte Quellen sind dabei keine Seltenheit.

Gestärkt und informiert durch diese ersten Recherchen fertige ich nun eine Rohübersetzung an (sofern es sich um einen längeren Text handelt, nicht bloß eine kurze Anzeige). Es folgen fortlaufend weitere Recherchen, die jedoch nicht der Klärung von Fachterminologie, sondern vor allem der Ideenfindung dienen. Diese Ideen halte ich handschriftlich fest, oftmals mit Kreuz- und Querverbindungen. Der Übergang zum Brainstorming findet dadurch fließend statt.

Brainstorming ist im Grunde nichts anderes als inszenierte, inspirierte Improvisation. Ob Sie das Stürmen im Team durchführen oder für sich allein, ist in der Regel weniger wichtig. Ein Team ist zwar toll, aber nicht immer praktikabel. Wichtig ist, dass man fokussiert und dennoch völlig offen arbeitet: Lassen Sie zunächst alle spontanen Ideen zu und halten Sie diese schriftlich fest. Eins ergibt das andere, dabei ist es unerheblich, ob es sich um ganze Gedanken, einzelne Wörter, Phrasen oder Sätze handelt. Alles ist möglich. Es gibt nichts, was nicht erlaubt ist. Je freier Sie assoziieren, umso besser.

Bedenken Sie dabei: Niemand kann immer zündende Ideen haben. Ideen generiert man Schritt für Schritt in einem fortlaufenden Prozess. Zwischendurch muss man sich auch den Kopf frei machen, wenn man das Gefühl hat, nicht mehr weiterzukommen. Sei es, dass Sie eine Runde laufen gehen, spazieren, singen, Yoga machen, kochen, ein Regal aufräumen, mit wildfremden Leuten ein Gespräch anfangen - im Grunde hilft alles, was die Routine durchbricht.

Wie auch immer Sie es angehen: Rechnen Sie damit, viele Ideen zu entwickeln und viele letztlich wieder verwerfen zu müssen. Denn wie jede Profitexterin weiß: Um die eine gute Idee zu haben, muss man erstmal viele haben.

Wie eine Brainstorming-Session durchzuführen ist, kann in Workshops geübt werden, denn auch dafür gelten bestimmte Regeln. In dieser Phase (aber auch immer wieder zwischen den anderen Schritten) kommen verschiedene Kreativtechniken und Blockadenlöser zum Einsatz.

Auf das Brainstorming folgt dann ein äußerst wichtiger, dabei oftmals unterschätzter Schritt: die Pause, die „Inkubation“. Die Inkubation ist jene Phase, in der das Unterbewusstsein weiterarbeitet, während wir uns mit einer anderen Tätigkeit beschäftigen. Dieses unterbewusste Inkubieren funktioniert ähnlich wie ein PC-Betriebssystem, das im Hintergrund permanent weiterläuft, auch wenn wir zwischen verschiedenen Programmen hin- und herspringen. Mir gefällt auch das Bild des Inkubators, des Brutkastens, in dem wir den Nährboden (alle gesammelten Ideen und Informationen) auslegen und dann die Pflänzchen in Ruhe sprießen lassen.

An die Inkubation schließt sich die erste Kontrolle an. Damit ist gemeint, dass ich den Zieltext (und nur diesen!) nach bestimmten Gesichtspunkten durchgehe: Passen die Anschlüsse, fließt der Text gut, ergibt jede Formulierung im Kontext Sinn, ist alles logisch aufgebaut, erscheint mir alles durchgehend stimmig? Ist der Text so strukturiert, dass die Leserin in ihrem Leseverhalten von einem Punkt zum nächsten geführt wird? Die wichtigen Passagen ins Auge springen? Vor allem: Entspricht der Text den Vereinbarungen, die wir im Briefingdokument festgehalten haben? Können vielleicht noch prägnantere Formulierungen gefunden werden? Sollte irgendwo ein Absatz umgestellt, komprimiert oder um eine geschickt eingeflochtene (nicht belehrende!) Erläuterung ergänzt werden - selbstverständlich in Absprache mit meiner Kundin?

Nach dieser Kontrollarbeit kommt der Feinschliff, der oftmals mehrere Durchläufe erfordert. Dazwischen lege ich immer wieder kleinere und größere Pausen (Mikro- und Makropausen) ein, um den Text mit mehr mentalem Abstand zu prüfen. Und wenn ich schließlich der Meinung bin, dass der Zieltext lieferfertig ist, und zwar in jeder Hinsicht, in jedem Detail, kommt noch ein letzter Schritt hinzu:

Eine Endkontrolle: Ich lese den Ausgangstext nochmals, nicht Satz für Satz mit dem Zieltext vergleichend, wie Übersetzer (und Qualitätssicherungsbeauftragte) dies gern tun, sondern ich lese tatsächlich nur den Ausgangstext in einem Zug aufmerksam durch. Lasse ihn auf mich wirken. Man kann ihn sich auch vorlesen lassen. Manchmal erkenne ich dabei eine Nuance, die mir zuvor entgangen ist oder die mir nun doch wichtig erscheint. Dann muss ich das im Zieltext vielleicht nochmals nacharbeiten.

Dies ist lediglich eine grobe Beschreibung, wie der Transkreationsprozess ablaufen kann. Jede Transkreativtexterin, jeder Transkreativtexter hat eigene Präferenzen und muss für sich herausfinden, was von Fall zu Fall am besten funktioniert. Ich selbst halte ich mich auch nicht sklavisch an einen bestimmten Ablauf, manche Schritte wiederhole ich bei manchen Aufträgen mehrfach, andere fallen mitunter auch weg. Wichtig ist nur, dass Sie für sich selbst herausfinden, wie Sie das beste Ergebnis erzielen. Dazu muss man diese Arbeit regelmäßig üben.

Wie Sie sehen, ist dieser Transkreationsprozess aufwendig und absolut perfektionistisch, meiner Erfahrung nach jedoch unabdingbar.

Keine Frage der „Qualität“

Wichtig ist mir zu betonen, dass die Unterscheidung zwischen Übersetzung und Transkreation keine Frage der Qualität ist. Es geht nicht darum, dass das eine „schlechter“ oder „besser“ ist als das andere, sondern es handelt sich um verschiedene Aufgabenstellungen: vollständige, korrekte inhaltliche Wiedergabe in allen Details im Fall der Übersetzung (die Leserin will wissen, was das Original besagt), gegenüber der Transkreation, die dazu da ist, den Leser für eine bestimmte Botschaft zu gewinnen und zu einer Aktion zu motivieren. Um Letzteres zu erreichen, ist der Ausgangstext allein in den seltensten Fällen ausreichend, sondern muss durch ein entsprechendes Briefing ergänzt werden.

Das „Transcreation Continuum“©

Sie erinnern sich vielleicht an meinen Hinweis am Anfang dieses Artikels, dass ich Übersetzung und Transkreation trotz einiger grundlegender Unterscheidungsmerkmale nicht haarscharf gegeneinander abgrenze. So manche Projekte lassen sich keineswegs eindeutig kategorisieren, sondern erstrecken sich über ein ganzes Spektrum verschiedener Abstufungen. Aus diesem Grund habe ich vor einiger Zeit das „Transcreation Continuum“ entwickelt, das man sich schematisch ungefähr so wie in der folgenden Abbildung vorstellen kann.

In diesem Spektrum gibt es drei Hauptkategorien mit fließenden Übergängen: von der Übersetzung in ihrer reinsten Form (beginnend auf der linken Seite) bis hin zum reinen Texten und der Erstellung lokaler Inhalte am anderen Ende. Ich bezeichne Letzteres entsprechend dem Marketinggebrauch als „Copy Creation“2. Bei der Copy Creation handelt es sich also um Textkreation oder Texterstellung, bei der ein Ausgangstext nur bedingt relevant ist oder vielleicht gar nicht oder nur in rudimentärer Form existiert.

Wenn wir uns auf diesem Kontinuum von links nach rechts bewegen, von informierenden (gelb) über überzeugenden (blau) bis hin zu motivierenden Texten (grün), nimmt die Relevanz des Ausgangstextes immer mehr ab und die Relevanz der AIDA-Formel3 immer mehr zu. Auch der Grad der Anpassung und des Um- und Neuschreibens nimmt zu, je weiter man sich in Richtung Textkreation bewegt.

Schematische Darstellung des Transkreations-Kontinuums

Zusätzlich sehen wir hier, dass im linken (gelben) Bereich des Kontinuums insgesamt vergleichsweise hohe Textvolumina anfallen (ein Fondsprospekt allein kann schon hundert Seiten füllen, während ein Werbe- oder PR-Text in der Regel kaum mehr als zwei Seiten umfasst), weshalb sich die künstliche Intelligenz (KI) beziehungsweise Maschinenübersetzung (MÜ) vor allem auf diesen Bereich konzentriert. Dies deshalb, weil es aufgrund ebendieser Volumina viel mehr Daten gibt, die erfasst und verarbeitet werden können, und weil nur hier eine direkte Beziehung zwischen Ausgangs- und Zieltext besteht. Ein mitunter völlig anderer Zieltext mit nur mäßigem bis marginalem Bezug zum Ausgangstext, wie dies in der Transkreation häufig der Fall ist, lässt sich für maschinelle Übersetzungstools kaum nutzen. Zudem geht es bei „grünen“ (motivationslastigen Textsorten) vor allem um die Wirkung und Einzigartigkeit des Geschriebenen. Eine Analyse von Wettbewerbern etwa nimmt die Software nicht vor. Auch führt sie keine Gespräche mit Kundinnen. In einer MÜ werden nur die Ausgangstexte verarbeitet, vielleicht noch Glossare, nicht aber all die anderen zusätzlichen Informationen, den kulturellen Kontext, die Spezifika der jeweiligen Zielgruppen, das Briefing, was man individuell mit dem jeweiligen Text erreichen will.

KI und MÜ werden also weiterhin vor allem für Textsorten vom Typ „gelb“ (informierende Texte) zum Einsatz kommen, mit entsprechendem Post-Editing. Transkreation bleibt ein Bereich, für den sich große Übersetzungsunternehmen aufgrund des geringen Automatisierungspotenzials und hohen personellen Aufwands kaum bis gar nicht lohnt. Dieser Bereich wird noch auf lange Sicht vor allem Kleinstagenturen und Freiberuflerinnen vorbehalten bleiben.

In der folgenden Abbildung sehen Sie dazu noch ein Beispiel für ein Transkreationsprojekt, das sich über das gesamte Kontinuum erstreckt, etwa im Fall einer Website für ein Hotel.

Einige Teile dieser Website (etwa die AGB oder die Buchungsseite des Hotels) müssen in allen Details originalgetreu und vollständig übersetzt werden, sind auf diesem Kontinuum also definitiv gelbe Texte (links einzuordnen). Andere Teile wiederum sind sehr marketinglastig (im Sinne der AIDA-Formel) und müssen möglicherweise umgeschrieben oder ganz neu aufgesetzt werden (etwa die Homepage, auf der man als Besucher als erstes landet). Diese fallen folglich als motivierende Texte in den grünen (rechten) Bereich des Kontinuums. All jene Teile also, mit denen Sie die Aufmerksamkeit der Besucherin wecken und davon überzeugen möchten, dass es sich für sie lohnt, hier weiterzulesen und sich anschließend zum Beispiel die Zimmerseiten anzusehen. Oder gar gleich zur Buchungsseite zu gehen. Und dann finden sich auf der Hotelwebsite vielleicht auch „blaue“ Texte (mittlere Säule) - Blogbeiträge, Medienberichte über neue Auszeichnungen oder Events und dergleichen.

Das Transkreationskontinuum beim Projekt einer Hotel-Website

Sogar die Karriereseiten bedürfen mitunter erheblicher Adaption. Häufig wird unterschätzt, wie viel kulturelle Anpassung diese nicht nur aus rechtlichen Gründen erfordern, sondern auch im Hinblick darauf, wie man Arbeitnehmerinnen für das Unternehmen gewinnt (Stichwort „Employer Branding“). Aber selbst diese Texte sind nicht immer eindeutig zuordenbar. Das Vorgehen hängt auch von den jeweiligen Ausgangs- und Zielmärkten ab. Manchmal können Sie recht nah am Ausgangstext bleiben, manchmal müssen Sie zusammen mit ihrer Kundin alternative Lösungen finden.

Leserinnen müssen insgesamt und durchgehend das Gefühl bekommen, die Texte auf dieser Website seien speziell für sie konzipiert und geschrieben worden. Das weckt Vertrauen, und gerade, wenn ich etwas buche, ist Vertrauen entscheidend. Viel zu oft werden heute immer noch Texte einfach aus anderen Kulturkreisen direkt übernommen und vielleicht mit (mehr oder weniger) hübschen Floskeln wiedergegeben. Diese sind für die Leser bisweilen nichtssagend oder gehen vollkommen an ihren Präferenzen und Problemen vorbei. In der Fülle an Texten, mit denen wir alle täglich bombardiert werden, reicht es eben nicht, schön oder flockig oder lustig zu schreiben.

Auch ohne Marktforschung und Statistiken wissen wir alle, dass wir als potenzielle Kundinnen lieber handeln oder kaufen, wenn wir uns verstanden und sicher fühlen, wenn unsere spontane Reaktion besagt: „Klasse, das ist genau das, was ich suche, da habe ich ein gutes Gefühl dabei.“

Übrigens: Transkreation benötigt man nicht nur in der Werbung, sondern im Grunde immer dann, wenn ein Text inspirieren und motivieren soll. Ein Aufruf zu Aktionen für einen guten Zweck. Eine Rede der Vorstandsvorsitzenden, die alle Mitarbeiterinnen motivieren und für das Unternehmen und dessen Aktivitäten begeistern soll. Wann immer eine Botschaft wichtig ist und aufgrund kultureller Unterschiede teils umfassend adaptiert werden muss, ist Transkreation im Sinne des Transkreations-Kontinuums gefragt.

Und der Punkt ist, dass Transkreationsexpertinnen mit ihrer Kompetenz dieses Spektrum abdecken. Sie wissen, aufgrund ihrer Erfahrung und basierend auf den Gesprächen mit ihren Kunden, wie in jedem Fall zu verfahren ist. Wann nuancen- und detailgetreu übersetzt und wann - unter Einbindung des Kunden - umfassend adaptiert oder gar neu getextet werden muss. Und Kunden ihrerseits haben die beruhigende Gewissheit, in besten Händen zu sein.

Aufgrund der kombinierten Expertise aus Übersetzungskompetenz und Copywriting-Kompetenz wissen Transkreationsexpertinnen, basierend auf einem Quelltext und einem Kundenbriefing, wann übersetzt und wann umgeschrieben werden muss und wie das im jeweiligen Fall zu erfolgen hat.

Da professionelle Transkreationsexperten definitionsgemäß auch ausgebildete Texter sind, können sie Texte auch ausschließlich anhand von Kundengesprächen aufsetzen. Aus meiner Praxis und aus den Beobachtungen von Kolleginnen und Kollegen kann ich bestätigen, dass diese Fähigkeit immer mehr angefragt wird. Sie gewinnen mit der Zusatzkompetenz des professionellen Textens also ein zusätzliches Standbein und können sich insbesondere mit einer Spezialisierung auf bestimmte Branchen ein attraktives Nischendasein schaffen.

All das macht Ihnen keine (noch so gute, neuronale) Maschinenübersetzung nach. So schreibt das Unternehmen DeepL auf seiner Website denn auch: „Die neuronalen Netze von DeepL sind in der Lage, selbst die kleinsten Nuancen zu erfassen und sie in einer anderen Sprache korrekt wiederzugeben.“ Auch wenn diese Behauptung ein wenig vollmundig erscheint: Fakt ist, dass die künstliche Intelligenz im Bereich der Übersetzung bereits große Fortschritte erzielt hat und zweifelsohne ein spannendes Thema ist, das die Branche umwälzend verändert.

Transkreation ist davon jedoch nicht betroffen, da Transkreation eben keine „nuancengetreue Erfassung“ eines Ausgangstextes und „korrekte Wiedergabe“ in einer anderen Sprache ist, sondern eine Leistung, die wesentlich über einen bloßen Ausgangstext hinausgeht.

Fazit

Transkreation ist …

  • ein strategisch-kreativer Prozess, der sich kaum verkürzen und schon gar nicht automatisieren lässt
  • ein „nochmaliges Texten“ unter größtmöglicher Berücksichtigung des Originals
  • eine Leistung, die ausschließlich anhand der Wirkung des Zieltextes beurteilt wird
  • die Kombination aus Zeitaufwand und Expertise eines Übersetzers und Zeitaufwand und Expertise eines Texters
  • keine fachliche Spezialisierung, sondern eine zusätzliche, ergänzende Kompetenz
  • eine Aufgabenstellung, bei der die gewünschte Wirkung zählt und nicht die Formulierungen im Original
  • eine Leistung, die so viele Aspekte vereint, dass ein maschineller Output zwangsläufig nicht mithalten kann

Entscheiden Sie nun selbst nach der Lektüre dieses Beitrags, ob Transkreation für Sie als nachhaltiges Betätigungsfeld und Geschäftsmodell in Frage kommt. Bei Interesse an ausführlicheren Erläuterungen zum Thema Transkreation finden Sie diese unter anderem in meinen zwei Büchern:

  • Translation - Transkreation, Vom Über-Setzen zum Über-Texten. Erschienen im BDÜ-Fachverlag, Februar 2016
  • Get fit for the future of transcreation, A handbook on how to succeed in an undervalued market. Erschienen im Eigenverlag (auf Englisch), Juli 2019

Weitere Tipps zum Thema Transkreation finden Sie auch in meinem Blog auf www.transcreationexperts.com oder folgen Sie mir auf LinkedIn.


1 In Anlehnung an die in der Kreativbranche übliche Bezeichnung „Texterin/Kreativtexterin“ bzw. „Texter/Kreativtexter“ (Englisch: „Copywriter“) verwende ich für die Hybridkompetenz der Transkreation analog die Bezeichnung Transkreativtexterin. Mitunter wird aber auch im Deutschen die englische Bezeichnung „Transcreator“ oder eingedeutscht „Transkreator“ verwendet.

2 „Copy“ bezeichnet in der englischen Marketingsprache die Textteile einer Werbung (im Gegensatz zum Bildmaterial).

3 AIDA ist eine klassische Texter-Formel, bei der es darum geht, einen Text so zu gestalten, dass er zunächst Aufmerksamkeit (Attention) weckt, dann Interesse (Interest), dann Verlangen (Desire), dann Handlung (Action, egal welcher Art, vom Abonnieren eines Newsletters bis hin zu einer Bestellung).

Über die Autorin

Nina Sattler-Hovdar

Über die Autorin

Nina Sattler-Hovdar

Nina Sattler-Hovdar ist mit ihrer 30-jährigen Erfahrung eine der bekanntesten Transkreationsexpertinnen auf dem deutschen Markt. Ihre Tätigkeit konzentriert sich auf die Übertragung imagesensibler Texte der internen und externen Unternehmenskommunikation einschließlich PR und Werbung aus dem Englischen und Norwegischen ins Deutsche. Bekannt ist sie auch als Vortragende und Trainerin für internationale Organisationen und Unternehmen. Bisher sind von ihr, neben Beiträgen in Fachzeitschriften und Sammelbänden, die beiden praxisbezogenen Bücher „Translation - Transkreation“ und „Get fit for the future of transcreation“ erschienen.

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