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Warum das neue Gerichtsdolmetschergesetz gute Sprachmittlung in der Rechtspflege erschwert

Beitrag von Jörg Schmidt  | Veröffentlicht am 13. April 2023  

Wenn ein Gesetz in seiner Konzeption und handwerklichen Ausarbeitung so gravierende Schwächen hat wie das neue Gerichtsdolmetschergesetz (GDolmG) und für alle Beteiligten nur Nachteile bringt, müssen die Unzulänglichkeiten benannt werden. In diesem Beitrag sollen die Schwächen und negativen Auswirkungen des GDolmG auf die Qualität von Sprachmittlung in der Rechtspflege näher betrachtet werden.

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Landgericht Hamburg | Bild: Juliette Kober auf Pixabay

Hintergrund

Die allgemeine Be-/Vereidigung und Ermächtigung von Sprachmittlern war in Deutschland lange ausschließlich Sache der Bundesländer. So sind über Jahrzehnte regional unterschiedliche Regelungen über die Beeidigung von Gerichtsdolmetschern entstanden. Unterschiedlich strenge Qualifikationsanforderungen führten zu einem „Vereidigungstourismus“, der bis heute anhält.

2019 hat der Bund ein großes Gesetzesvorhaben zur Modernisierung des Strafverfahrens zum Anlass genommen, sich erstmals selbst mit dem Beeidigungswesen der Sprachmittler zu befassen. Übergreifendes Ziel des Gesetzespakets ist es, Strafverfahren effizienter und praxistauglicher zu machen. Mit dem GDolmG als Teil dieses Pakets sollen insbesondere die persönlichen und fachlichen Qualifikationsvoraussetzungen von Gerichtsdolmetschern bundeseinheitlich festgelegt werden. Inzwischen hat der Bundesgesetzgeber das Strafrechtsmodernisierungsgesetz mit dem darin enthaltenen GDolmG verabschiedet. Es steht im Bundesgesetzblatt, und das GDolmG selbst soll am 1. Januar 2023 in Kraft treten.

Wichtig zu wissen ist hierbei, dass das zugrundeliegende Gesetzgebungsverfahren im Herbst 2019 innerhalb von weniger als drei Monaten völlig übereilt durchgeführt wurde. Deutlich kritische und ablehnende Stellungnahmen verschiedener Sprachmittler-Berufsverbände zum Referentenentwurf des GDolmG wurden vom Bundesjustizministerium zwar entgegengenommen, in der Sache jedoch ignoriert. Auch in den zuständigen Ausschüssen von Bundestag und Bundesrat sah man es nicht als erforderlich an, kompetente Vertreter der vom GDolmG betroffenen Berufsgruppe anzuhören.

Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens kam noch ein weiterer politischer Eklat hinzu. Die Hausjuristen des Bundesrats äußerten erhebliche Bedenken an der formellen und materiellen Verfassungsmäßigkeit des GDolmG und verfassten den Beschluss BR-Drucksache Nr. 532/19. Doch auch dieser Beschluss blieb von der Politik unbeachtet. Im Rechtsausschuss des Bundesrats entschlossen sich die Vertreter der damaligen Regierungsmehrheit aus CDU/CSU und SPD, verfassungsrechtliche Bedenken der eigenen Fachleute nicht zu diskutieren, d. h. von der Tagesordnung zu nehmen. So kam es, dass der Bundesrat keinen Einspruch gegen das vom Bundestag beschlossene GDolmG erhob und das Gesetz verabschiedet wurde.

Die Schwächen des GDolmG

Das GDolmG dürfte dem BR-Beschluss Nr. 532/19 zufolge verfassungswidrig sein. Die dort angeführten rechtlichen Mängel sollen hier aber außer Betracht bleiben und gegebenenfalls an anderer Stelle näher behandelt werden. Für die betroffenen Sprachmittler sind die gravierenden konzeptionellen Schwächen des GDolmG nämlich von mindestens ebenso großer Bedeutung.

Bereits bei einer ersten Durchsicht der Bestimmungen des GDolmG fällt auf, dass der Bundesgesetzgeber keine innovativen Elemente in das Gesetzeswerk eingefügt hat. Die Struktur und Regelungsinhalte des GDolmG ähneln sehr stark den bereits heute geltenden Beeidigungsvorschriften der Bundesländer. Neu ist hier im Wesentlichen nur, dass der Bund selbst gesetzgeberisch tätig geworden ist und bereits altbekannte Qualifikationsvoraussetzungen bundeseinheitlich festlegt.

Auffällig ist auch, dass sich der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes lediglich an „Gerichtsdolmetscher“ richtet. Andere im rechtlichen Bereich tätige Sprachmittler wie etwa schriftlich arbeitende „Rechtsübersetzer“ sowie für Polizei, Staatsanwaltschaft und andere staatliche Stellen tätige Dolmetscher einschließlich Gebärdensprachdolmetscher finden keinerlei Erwähnung, obwohl sie mit jeweils graduellen Abstufungen – in der Rechtspraxis eine sowohl zahlenmäßig als auch inhaltlich herausragende Rolle spielen.

Die regulatorische Adressierung allein von „Gerichtsdolmetschern“ lässt vermuten, dass der Bundesgesetzgeber bei seinen konzeptionellen Überlegungen sehr verengt von dem Dolmetschbedarf in gerichtlichen (Straf-)Verfahren ausgegangen ist. Da eine solch verengte Sichtweise unvollständig und realitätsfremd ist, liegt es nahe, dass die Verfasser des GDolmG sich nicht näher mit den tatsächlichen, viel weitergehenden Regelungsbedarf für die Sprachmittlung in der Rechtspflege befassen konnten oder wollten. Hierin ist ein großes Manko des mit dem GDolmG vorgelegten Regelungsversuchs zu sehen.

Im Hinblick auf die Festlegung von Qualifikationsanforderungen an „Gerichtsdolmetscher“ ist festzuhalten, dass das GDolmG offenbar ganz bewusst sehr unbestimmt von „erforderlichen Fachkenntnissen“ spricht, obwohl es anerkannte nationale und internationale Normen gibt, die sehr genau definieren, über welche konkreten fachlichen Kompetenzen professionelle Dolmetscher verfügen müssen, um zuverlässig und erfolgreich im rechtlichen Bereich sprachmittlerisch tätig sein zu können.

Zu nennen ist hier insbesondere die Norm DIN-ISO 20228, die man sicherlich hätte heranziehen müssen, um zu einer innovativen gesetzlichen Regelung zu kommen, die tatsächlich qualitätssichernde Wirkung entfaltet. Konkret ist es insbesondere zu bedauern, dass die Beherrschung der diversen Dolmetschtechniken, darunter des Simultan- und Konsekutivdolmetschens, keinerlei Eingang in das GDolmG gefunden hat. Solange der Gesetzgeber solche elementaren Anforderungen außer Acht lässt, kann es keine nachhaltige Sicherung von sprachmittlerischer Qualität bei Gericht oder vor anderen staatlichen Stellen geben.

Über den Autor

Jörg Schmidt

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Über den Autor

Jörg Schmidt

Wie einige andere Fachübersetzer auch ist Jörg G. Schmidt ein beruflicher Quereinsteiger. Er studierte zunächst Jura und arbeitete zehn Jahre als Rechtsanwalt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Zivilrecht. Seit seiner Schulzeit hat er aber auch großes Interesse an Fremdsprachen, weshalb er sich zusätzlich sprachmittlerisch ausbilden ließ. Heute ist er allgemein vereidigter Dolmetscher und Übersetzer für die Sprache Englisch mit Spezialisierung im Bereich Recht.

Zum ADÜ Nord kam Jörg Schmidt 2009. Seit 2014 ist er Mitglied des Vorstands, wo er zunächst Referent für Vereidigtenangelegenheiten war. Seit April 2019 ist er 1. Vorsitzender. Ein großer Schwerpunkt seines verbandlichen Engagements liegt in der berufspolitischen Arbeit rund um das reformbedürftige Berufsrecht der allgemein ver-/beeidigten Kolleg/-innen.

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